13. Dezember 2019 – ADVOCACY

STRAFLOSIGKEIT FÜR IS-TÄTERINNEN BEENDEN

Ein Appell an die Menschlichkeit:

Sowohl in Syrien als auch in Deutschland haben die Opfer des IS-Terrors große Angst, dass sie ihren Peinigern auf freiem Fuß wiederbegegnen könnten. Diese Angst ist berechtigt, denn über 80 deutsche IS-AnhängerInnen werden bis heute in unsicheren Flüchtlingslagern und Gefängnissen in Nordsyrien gehalten, zwei Drittel sind Frauen. Wie viele ExtremistInnen seit der türkischen Syrien-Offensive bereits ausbrechen konnten, weil die kurdischen Milizen die Gefangenenlager nicht mehr richtig bewachen können, weiß niemand. Gleichzeitig hat die Türkei begonnen, IS-VerbrecherInnen nach Deutschland abzuschieben – ohne, dass ausreichend Beweismaterial für eine Festnahme hierzulande gesammelt werden konnte.

Die Opfer des IS – vor allem Frauen und Kinder – werden lebenslänglich mit Traumata zu kämpfen haben. „Selbst Jahre nach einer sexualisierten Gewalttat, sagen mir Opfer, dass sie die Tat in Träumen häufig wiedererleben müssen“, sagt HAWAR.help Völkerrechtsexperte, Dr. Alexander Schwarz. „Für die Überlebenden kommt noch hinzu, dass tausende Angehörige – Mütter, Schwestern, und Söhne – weiterhin vermisst werden. Wir sind es diesen Menschen schuldig, die Gräueltaten Ihrer Unterdrücker – Entführung, Vergewaltigung, Versklavung und Völkermord – nicht unbestraft zu lassen.

Als Menschrechtsorganisation, die aus der Asche eines Völkermords geboren wurde, kennen wir die Geschichten und Leiden der Überlebenden. Deshalb fordern wir – gemeinsam mit dem HAWAR.help Völkerrechtsexperten Dr. Alexander Schwarz – die Bundesregierung auf, folgende Schritte einzuleiten:

  • Sicherung der Gefangenenlager: Die Bundesregierung muss den kurdischen Behörden bei der Sicherung der Gefangenenlager finanziell und/oder personell zu Seite stehen. Die Ideologie des IS lebt in diesen Lagern weiter und der Ausbruch unzähliger, radikalisierter IS-TäterInnen bleibt eine eminente Gefahr.
  • Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden: Damit Beweismaterial gegen deutsche IS-AnhängerInnen schnellstens gesammelt werden kann, muss Deutschland mit den Behörden in Nordsyrien kooperieren. Das erste Gerichtsurteil zur Rückholpflicht einer IS-Anhängerin und ihrer Kinder wurde bereits ausgesprochen. Es ist absehbar, dass weitere Angehörige von IS-Kämpfer*innen erfolgreich auf Rückholung klagen werden und in der Folge nach Deutschland zurückgeholt werden. Um die Opfer zu schützen und um zu verhindern, dass IS VerbrecherInnen auf freien Fuß kommen, ist eine enge Kooperation zwischen Deutschland und den kurdischen Behörden unabdingbar. Sobald genug Beweismaterial vorliegt, muss Deutschland seine Staatsbürger zurückholen, damit sie sofort festgenommen und ein Strafverfahren gegen sie begonnen werden kann.
  • Behandlung von Verbrechen sexualisierter Gewalt: Wir fordern die Bundesanwaltschaft auf, Ermittlungen zu sexualisierter Gewalt fokussiert voranzutreiben. ZeugInnen und Opfer, die sexualisierte Gewalt erlitten haben, müssen davor geschützt werden, dass sie bei der Vernehmung weitere seelische Schmerzen erleiden. Eine kultursensible psychosoziale Betreuung muss jederzeit sichergestellt werden.
  • Förderung von Deradikalisierungsprogrammen: Die Frauen und Männer, gegen die es nicht ausreichend Beweismaterial gibt, um eine Freiheitsentziehung zu rechtfertigen, müssen sofort in langfristige Programme zur Deradikalisierung und in psychologische Betreuung und Beobachtung.
  • Verantwortlichen Behörden in Deutschland stärken: Um eine umfassende Beweissicherung gewährleisten zu können müssen die verantwortlichen Behörden in Deutschland – darunter die „Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch“ (ZBKV) und das Völkerstrafrechtsreferates des Generalbundesanwalts – mit mehr personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden.
  • Anklage im Internationalen Strafgerichtshof: Wir fordern den UN-Sicherheitsrat, in dem auch Deutschland sitzt, auf, den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) durch eine Resolution zu ermächtigen, Ermittlungen zu Völkermord in Irak und Syrien aufzunehmen oder ein Sondertribunal einzurichten.

Die Aufarbeitung von Völkerrechtsverbrechen darf keine fragmentierte, nationale Angelegenheit bleiben. Andernfalls laufen wir Gefahr, dass Völkermörder auf freiem Fuß bleiben oder in irakischen Schnellverfahren die Todesstrafe gegen sie verhängt wird. Letzteres würde dazu führen, dass eine wirkliche Aufarbeitung der Verbrechen unter Beteiligung der Opfer ausbleibt. Dies wäre letztlich ein Verrat an den Betroffenen. Wir müssen alles tun, um den Opfern des IS zurück ins Leben zu verhelfen – dazu gehört eine konsequente Strafverfolgung. Das sind wir ihnen schuldig.