28. April 2020 – ADVOCACY

WELTWEIT ERSTER GERICHTSPROZESS ZUM VÖLKERMORD

Liebe Freund*innen,

liebe Unterstützer*innen,

die vergangene Woche hielt gute Nachrichten für die Menschenrechte bereit: Gleich zwei Verfahren wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen nahmen an deutschen Gerichtshöfen ihren Anfang.

Am Freitag den 24.04.2020, fand am Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Auftakt des Gerichtsprozesses gegen den irakischen Staatsbürger und IS-Anhänger Taha al-J. statt. Die Liste mit den Anklagepunkten ist lang: Tötung aus niederen Beweggründen, Kriegsverbrechen gegen Personen, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und – das macht dieses Verfahren so bemerkenswert: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Den Anlass zur Anklage für diese Taten stellt die Versklavung, schwere Misshandlung und in letzter Konsequenz der Tod eines fünf Jahre alten jesidischen Mädchens dar, der Taha al-J. zur Last gelegt wird. Die Mutter des Mädchens tritt als Nebenklägerin im Verfahren auf. Sie wird vertreten durch die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney und der Rechtsanwältin Natalie von Wistinghausen, die sich ebenfalls zum Prozess geäußert haben

Einen Tag vorher wurde am Oberlandesgericht Koblenz das Verfahren gegen zwei ehemalige Funktionäre des Präsidenten Syriens Baschar al-Assad eröffnet. Ihnen werden Folter und Beihilfe zur Folter in insgesamt über 4.000 Fällen, schwere Sexual-Delikte und – dem Hauptangeklagten – der Tod von 58 Menschen, die sie allen bisherigen Erkenntnissen zufolge in den Folterkellern des Assad-Regimes verübten, zur Last gelegt. Es ist der weltweit erste Gerichtsprozess zu Staatsfolter in Syrien.

Was den Frankfurter Prozess gegen den IS-Anhänger so einzigartig macht, ist der Umstand, dass die Generalbundesanwaltschaft ihm im Zusammenhang mit diesen Taten eine individuelle Genozid-Absicht nachweisen will: Er soll sie in Einklang mit den Zielen des IS verübt haben, die die Auslöschung der Jesiden als ethnische Gruppe vorsahen. Damit steht zum ersten Mal ein Mitglied des Islamischen Staates, das sich am Genozid der jesidischen Minderheit beteiligt haben soll, explizit wegen dieses Tatbestandes vor Gericht – ein weltweit bislang beispielloses Ereignis! Seit Gründung unserer Menschenrechtsorganisation haben wir unermüdlich auf die konsequente Verfolgung der genozidalen Straftaten des IS an den Jesiden gepocht! Die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Belange der Jesiden in dieser Frage einsetzen, trägt Früchte!

Sowohl der Folter-Prozess in Koblenz, als auch der Frankfurter Genozid-Prozess werden ermöglicht durch die Anwendung eines fortschrittlichen Rechtsgrundsatzes: des Weltrechtsprinzips. Es befähigt alle Strafgerichte weltweit die juristische Verfolgung schwerwiegender völkerrechtlich relevanter Straftaten, die weder auf deutschem Staatsgebiet sich ereigneten, noch von deutschen Staatsangehörigen begangen wurden – ein unabdingbares Instrument im Kampf gegen einen Terror, der von international vernetzten Tätern in einer globalisierten Welt orchestriert wird! Damit kann Tätern der Prozess gemacht werden, die sonst womöglich straffrei blieben. Wie im Falle Taha al-J.s, der per internationalem Haftbefehl von Griechenland aus nach Deutschland verbracht werden konnte. Wir freuen uns sehr, dass Deutschland in der Verfolgung von Menschheitsverbrechen nun international die Speerspitze bildet und den Grundsatz der universalen Gerichtsbarkeit umsetzt: “No safe haven for the perpetrators and no impunity!” – ein Ansatz, den wir seit Gründung unserer Organisation verfolgen: Den Tätern schwerster Verbrechen gegen die Menschheit darf kein sicherer Hafen geboten werden – weder hierzulande noch sonst irgendwo auf der Welt! Die Opfer müssen unbedingt Gehör zu finden und der Straflosigkeit muss ein Ende gemacht werden – wie es nun im Frankfurter Prozess geschieht! Damit ist ein Anfang gemacht. Dem Prozess müssen jedoch noch viele weitere folgen, damit die Masse der begangenen Verbrechen nicht ungesühnt bleibt!
In Zukunft wollen wir noch enger mit der deutschen Gerichtsbarkeit zusammen arbeiten, um die Mörder und Vergewaltiger der Jesiden zur Rechenschaft zu ziehen und haben dafür schon die Weichen gestellt.

Der Eröffnung des Genozid-Verfahrens wohnten unsere Vorsitzende Düzen Tekkal und der uns in Menschen- und Völkerrechtsfragen beratende Völkerrechtsexperte Dr. Alexander Schwarz bei. Letzterer wird weiter an den Frankfurter Prozess-Terminen in den kommenden Wochen teilnehmen und das Geschehen für uns verfolgen, wofür wir ihm besonders dankbar sind! Dadurch werden wir in der Lage sein, in den kommenden Wochen alle Ereignisse im Gerichtssaal an der Quelle nachzuvollziehen und vom Prozess zu berichten.

Wir haben auch einen kurzen Film dazu erstellt, den wir vor Ort aufgenommen haben: Im Video erklären Düzen Tekkal und Dr. Alexander Schwarz die Hintergründe und die Bedeutung des Prozesses als Blaupause für künftige juristische Aufarbeitung des IS-Völkermordes an den Jesiden. Denn eine weiter gehende Aufarbeitung an den Strafgerichtshöfen sind wir den Opfern schuldig, weil wir als internationale Staatengemeinschaft nicht in der Lage waren, den Genozid zu verhindern. Alles, was wir jetzt unterlassen, wird den Boden bereiten für weitere Völkermorde, so dass wir bald an jedem Tag im Jahr eines anderen Völkermordes gedenken.

Wir hoffen, dass unser April-Bulletin viele Erkenntnisse für Euch bereit hält! Herzliche Grüße und vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit und die anhaltende Unterstützung – auch von Seiten unserer tollen Partner! –, ohne die unsere Arbeit überhaupt nicht möglich wäre!

Das Team von HÁWAR.help

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