4. März 2019 – ADVOCACY

HÁWAR.help-FORDERUNGSKATALOG ZU IS-VERBRECHEN

NO SAFE HAVEN FOR PERPETRATORS OF SEXUAL VIOLENCE

Als Menschenrechtsorganisation, die unmittelbar nach dem Völkermord an den Jesiden gegründet wurde, um den aus IS-Gefangenschaft entkommenen Frauen Hilfe zukommen zu lassen, fordern wir die Bundesregierung und die internationale Staatengemeinschaft auf, der Strafverfolgung der Täter höchste Priorität einzuräumen. Schwerste Verbrechen berühren die internationale Gemeinschaft als Ganzes und dürfen nicht unbestraft bleiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Täter aus Deutschland kommen. Hunderte Deutsche mordeten in den letzten Jahren im Namen des IS im Irak und in Syrien, vergewaltigten Frauen und Kinder und begingen systematisch Menschenrechtsverbrechen an Jesiden.

Wir stehen deshalb im Austausch mit internationalen Organisationen und Sicherheitsbehörden, in Deutschland mit Vertretern der Politik und den inländischen Sicherheitsbehörden, dort insbesondere mit dem Bundeskriminalamt und dem ZBKV.

Schließlich ist Deutschland mit der Errichtung des Völkerstrafgesetzbuches im Jahre 2002 das Versprechen eingegangen, einen aktiven Beitrag zur internationalen Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen zu leisten – und ist dabei auch nicht untätig geblieben. Dass die Bundesanwaltschaft im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens gegen den IS ermittelt und bereits mehrere Verdächtige inhaftiert wurden, ist unbedingt zu begrüßen. Positiv ist ebenfalls, dass das Referat Völkerstrafrecht des Generalbundesanwalts seinen Fokus in den letzten Jahren deutlich in Richtung Syrien und Irak verlagert hat. Die steigenden Zahlen der von der Bundesanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren sprechen eine eindeutige Sprache.

Trotz dieser Leistungen steht die bisherige Verfolgungstätigkeit jedoch noch immer in Kontrast zu den massenhaft begangenen Sexualverbrechen an jesidischen Frauen und Mädchen. Denn bislang gibt es in den Verfolgungsbemühungen Deutschlands keinen Fokus auf die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Bis heute – vier Jahre nach dem Völkermord an den Jesiden – gibt es immer noch keine Anklage wegen Genozid.

Und das, obwohl sich tausende europäische Staatsbürger in den Reihen des IS an den Menschheitsverbrechen beteiligt haben – Europa kann und darf sich nicht der Aufarbeitung und Ahndung der Verbrechen verweigern. Mit Blick auf die eigene Geschichte und die Nürnberger Prozesse sehen wir die Bundesrepublik zudem in der Pflicht. Wir sind davon überzeugt, dass die juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen nicht nur Gerechtigkeit im Einzelfall ermöglicht, sondern ein ganz bestimmtes Konzept historischer Gerechtigkeit darstellt: Es steht in unserer historischen Verantwortung, den Bruch zwischen gewaltvoller Vergangenheit und rechtsstaatlicher, friedlicher Zukunft zu vollziehen. Historische Gerechtigkeit ist die notwendige Bedingung für langfristigen Frieden.

Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen das Weltrechtsprinzip gilt. Gerade deshalb spielt die Bundesrepublik im Kampf gegen die Straflosigkeit in Syrien und Irak eine Schlüsselrolle.

Trotz des unzweifelhaft vorhandenen Bemühens der Strafverfolgungsbehörden, die furchtbaren Verbrechen des Islamischen Staates zu ahnden, werden jedoch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Düzen Tekkal, Politiologin, Dokumentarfilmerin und Gründerin der Menschenrechtsorganisation HAWAR.help und Dr. Alexander Schwarz, Völkerrechtler an der Universität Leipzig, Experte für geschlechtsbezogene Verfolgung an Jesidinnen durch Mitglieder des IS und HAWAR.help-Völkerrechtsexperte, fordern daher:

  • Verbrechen sexualisierter Gewalt nicht außen vor lassen. Wir fordern die Bundesanwaltschaft auf, Ermittlungen zu sexualisierter Gewalt an jesidischen Frauen und Mädchen fokussiert voranzutreiben.
  • Besonderer Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt. Zeuginnen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, müssen davor geschützt werden, dass sie bei der Vernehmung weitere seelische Schmerzen erleiden. Dafür ist es notwendig, dass Therapie, Beratung und Strafverfolgung eng zusammenarbeiten und eine psychosoziale Betreuung jederzeit sichergestellt ist.
  • Kulturelle Hintergründe verstehen. Staatsanwaltschaft, Polizei und Übersetzer müssen mit den kulturellen Hintergründen der Zeuginnen vertraut gemacht werden.
  • Angemessene personelle Ausstattung beim ZBKV. Die Völkerrechtsverbrechen an den Jesiden werden derzeit durch Ermittlungen der sogenannten „Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch“ (ZBKV) beweisfest für zukünftige Strafverfahren aufgearbeitet. Jesidische Opfer werden hierfür von speziell zusammengestellten und entsprechend geschulten „Frauen-Teams“ des BKA vernommen. Bisher sind schon mehr als 4.500 Hinweise bei der ZBKV eingegangen, was angesichts der Schwierigkeit der Materie auf eine Mammutaufgabe hinausläuft. Diese Mammutaufgabe muss gegenwärtig jedoch von gerade einmal dreizehn Polizeivollzugsbeamten und vier Tarifbeschäftigten bewältigt werden. Hier bedarf es dringend mehr Mitarbeiter.
  • Dem ZBKV die finanziellen Ressourcen bereitstellen. Neben der personellen Ausstattung besteht bei der finanziellen Ausstattung der ZBKV ebenfalls Handlungsbedarf. Im Wettlauf gegen die Zeit muss den zahlreichen Hinweisen auf Völkerrechtsverbrechen möglichst zeitnah nachgegangen werden, nicht nach Kassenlage.
  • Eine umfassende Beweissicherung. Durch die Fluchtbewegungen der letzten Jahre befindet sich eine große Anzahl an potenziellen Zeugen für Völkerstraftaten im Zugriffsbereich deutscher Behörden. Durch eine systematische Identifizierung der Zeugen, einer systematischen Aufnahme der Aussagen und einer systematischen Sicherung der mitgeführten Beweismittel (etwa: Videos auf Smartphones) muss eine rechtzeitige, kontinuierliche und umfassende Beweissicherung erfolgen.
  • Das Völkerstrafrechtsreferat stärken. Analog zum ZBVK muss die finanzielle Ausstattung des Völkerstrafrechtsreferates des Generalbundesanwalts erheblich verbessert werden. Derzeit gibt es dort nur sieben Stellen, was angesichts des Ausmaßes und der Qualität der Verbrechen zu wenig ist. Eine Aufstockung des Personals würde erheblich dazu beitragen, eine effektivere Strafverfolgung zu ermöglichen.
  • Mehr Verbindungsbeamte. Das Zusammentragen der Beweise erfordert eine intensive internationale Kooperation, bei der es derzeit aber massiv hapert. So hat das BKA bislang nur einen Verbindungsmann im Libanon, der eine Nebenzuständigkeit für Syrien besitzt. Für den Irak besteht sogar überhaupt kein Verbindungwesen. Um einer effektiven Strafverfolgung den Weg zu bereiten, müssen wesentlich mehr Verbindungsbeamte eingesetzt werden.
  • Austausch erleichtern. Täter und Opfer der Völkerrechtsverbrechen des IS sind mittlerweile auf der halben Welt verstreut, unzählige nationale und internationale Organisationen sind mit der Beweisaufnahme beschäftigt. Eine Verbesserung des Austausches zwischen nationalen und internationalen (Strafverfolgungs-)Behörden dürfte nicht nur erhebliche Zeit- und Effizienzgewinne nach sich ziehen, sondern in vielen Fällen überhaupt erst eine sinnvolle Strafverfolgung ermöglichen.
  • Das Ziel aller Einzelmaßnahmen muss sein, dass Deutschland in die Lage versetzt wird, Völkerrechtsverbrechen durch die nationale Justiz effektiv und zeitnah zu verfolgen.

Der IS hat massive Völkerrechtsverbrechen begangen und die Verantwortlichen dürfen nicht damit rechnen, dass ihre Verbrechen ungestraft bleiben. Den Überlebenden sind wir es schuldig, dass die Täter für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar nicht erst in zwanzig oder dreißig Jahren, sondern so schnell wie möglich.

Dabei geht es nicht nur um individuelle Gerechtigkeit, sondern auch um historische. Schließlich enden die Verfahren nicht nur mit einem Urteilsspruch, sondern dokumentieren gleichzeitig auch die einzelnen Verbrechen für die Nachwelt.

Eine konsequente Strafverfolgung internationaler Verbrechen durch deutsche Behörden wäre ein wichtiges Zeichen für die Opfer der Verbrechen – und eine Warnung an alle künftigen Völkerrechtsbrecher. Für die Täter von Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen darf es keinen sicheren Hafen geben. Nicht in Deutschland, aber auch nicht in einem anderen Land dieser Welt. Es ist an der Zeit, die unzulängliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen an den Jesiden zu beenden.